Mit Schutz und Rettung kennt Colonel Chris Addiers sich aus. Von 2002 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2016 war er Chef des Feuerwehr- und Rettungsdienstes für die Stadt Antwerpen und den Hafen. Davor ist er als Verbindungsoffizier der belgischen Feuerwehr im Kabinett des Innenministeriums tätig gewesen.

An den belgischen Feuerwehrschulen und auch an der Universität Antwerpen unterrichtete er zu sicherheitsrelevanten Themen wie Brandschutz, Gefahrengut, Brandtaktik und Krisenmanagement.

Feuerwehren und Rettungskräfte in aller Welt – besonders aber auch in Europa – stehen durch die Corona-Pandemie vor großen Herausforderungen. Aus Ihrer Sicht: Kämpft jedes Land für sich selbst oder gibt es einen guten Austausch zwischen den Hilfskräften der Länder?

Nach einer ersten kurzen Umfrage unter unseren Mitgliedern sieht es so aus, dass die Situation und Vorgehensweise rund um Covid-19 bei den Feuerwehr- und Rettungsdiensten in ganz Europa recht unterschiedlich ist. Selbst die "grundlegenden" Fragen der Notfallplanung und des sonstigen Betriebs laufen nicht wirklich parallel – weder zwischen den einzelnen Ländern noch zwischen den einzelnen Diensten.

Die Konfrontation mit dieser erstmaligen – teilweisen oder vollständigen – Schließung ist selbst für die Rettungsdienste eine völlig neue Herausforderung. Obwohl sie daran gewöhnt sind, auf gesellschaftliche Störfälle vorbereitet zu sein, durchläuft das Feuerwehr- und Rettungswesen eine schwierige Phase, da sie in Bezug auf Ressourcen, Logistik und eine stetige und gute Personalbesetzung funktionsfähig bleiben muss.

Gibt es etwas, das wir aus Ihrer Sicht für die internationale Zusammenarbeit schon jetzt aus den Pandemie-Erfahrungen lernen können?

Ungeachtet der massiven Auswirkungen einer Pandemie bin ich der Meinung, dass wir unser institutionelles Modell strategisch überdenken müssen. Aktuell sind alle Partner, die in Schutz und Rettug involviert sind, viel zu sehr zersplittert – von den lokalen über nationale bis hin zu internationalen Behörden. Als Folge dieser Subsidiarität besteht meist eine erhebliche Kluft zwischen den lokalen Behörden, die zuständig für den Brandschutz und das Notfallmanagement sind, und den nationalen Behörden, die für den Katastrophenschutz und das Katastrophenmanagement zuständig sind.

Da die Europäische Union als eine Kooperation von Mitgliedsstaaten konzipiert ist, wird diese Lücke nicht kleiner. Im Gegenteil: Es gibt praktisch keine transitive Beziehung zwischen der EU-Struktur und den lokalen Regierungen.

Im Falle einer weltweiten Pandemie wird dies schmerzlich deutlich. Die Prioritäten sind nicht klar definiert, die Steuerung der Aktionen ist in der Folge nicht strukturiert, die Ressourcen sind also nicht sinnvoll verteilt. Das ist die harte Realität, mit der wir jetzt konfrontiert sind.

Was ist die FEU und was sind ihre Ziele? Wer sind Mitglieder der FEU und wer kann Mitglied werden?

Die FEU ist ein unabhängiger Berufsverband von 25 Feuerwehrverbänden oder staatlichen Feuerwehren (24 aus EU-Mitgliedsstaaten plus Norwegen), deren Mitglieder leitende Feuerwehrfachleute sind, die auf kommunaler, regionaler oder staatlicher Ebene für das strategische Management der Feuerwehr und des Rettungsdienstes in ihren jeweiligen Ländern verantwortlich sind. Ziel der FEU ist es, den Brandschutz für die Bürger zu erhöhen, die Sicherheit der Feuerwehrleute zu verbessern, den europäischen Gremien Fachwissen zur Verfügung zu stellen, Best Practices auszutauschen und grenzübergreifende Initiativen zu unterstützen. Die FEU konzentriert sich auf Fragen der künftigen Entwicklung der Feuerwehren, insbesondere in Bezug auf Führung, Organisation und Management.

Wie organisieren Sie die Koordination intern?

Die Abtimmung innerhalb der FEU basiert auf der Struktur, dass wir einen FEU-Rat als Leitungsorgan haben sowie darunter den FEU-Verwaltungsrat mit Präsident, Sekretär und Vorstandsmitgliedern. Der FEU-Rat kann eine Anzahl von FEU-Ausschüssen benennen. Außerdem kann der FEU-Rat eine Reihe von FEU-Arbeitsgruppen einsetzen, um ein bestimmtes Thema der öffentlichen Sicherheit zu behandeln.

Welche regelmäßigen Termine oder Treffen gibt es?

Zweimal im Jahr findet eine Ratssitzung statt. Eine Stimme pro Land ist erlaubt. Der FEU-Verwaltungsrat trifft alle relevanten Verwaltungsentscheidungen, die die Verwaltung des Verbandes betreffen, mit Ausnahme der dem FEU-Rat vorbehaltenen Entscheidungen. Vorstandssitzungen finden drei Mal im Jahr statt. FEU-Ausschüsse und FEU-Arbeitsgruppen werden für einen begrenzten Zeitraum ernannt.

Was sind derzeit Ihre wichtigsten Themen auf europäischer Ebene? Und welche Themen stehen auf der Agenda der FEU für die Zukunft ganz oben?

Wir haben 2018 eine Trendumfrage gemacht und konzentrieren uns mit der FEU Vision 2030 auf drei Hauptprogramme für die nächsten zehn Jahre: Zum einen wollen wir die Stimme sein, die strategisch für alle europäischen Feuerwehren spricht. Damit ist die FEU für alle Parteien und Akteure - Politiker, Fachleute und Partner - die Anlaufstelle für organisatorische, leitende und strategische Fragen der Feuerwehrführung in Europa. Dann haben wir unser Officer-Development-Programme (ODP), mit dem wir die nächste Generation von Feuerwehrführungskräften fördern, die in einem internationalen Kontext zukunftssichere Führungs- und Managementfähigkeiten beherrschen. Und schließlich steht der Informationsaustausch auf der Agenda, den wir erleichtern und fördern wollen durch Expertenaustausche, Stipendienprogramme und so weiter.

Mit welchen Botschaften kommt die FEU 2021 zur INTERSCHUTZ und was werden Sie zeigen?

Wir hätten 2020 das Officer-Development-Programme vorgestellt, das wir 2021 starten und das wir in enger Zusammenarbeit mit der Niederländischen Feuerwehr-Akademie (NFA) konzipiert und entwickelt haben. Wir wollen Feuerwehrleute gewinnen, die sich gerne an dem Programm beteiligen wollen oder als Botschafter für das Programm in ihrem Land auftreten. Nun findet die INTERSCHUTZ 2020 leider nicht statt, aber wir werden 2021 defintiv dabei sein.

Was sind denn Voraussetzungen, um an dem Development-Programm teilnehmen zu können?

Die Teilnehmer müssen gut auf Englisch kommunizieren können. Der Austausch von Fachkenntnissen und Wissen, um ein europäisches Netzwerk für die Zukunft zu schaffen, ist Teil des Programms. Spezifische Themen werden unter anderem sein: Dilemmata der Feuerwehr heute, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Kooperation, Trendanalyse, Integrität, Politikgestaltung und so weiter. Die FEU will ein jährliches europäisches ODP-Programm für leitende Offiziere entwickeln, das von einem Konsortium von Feuerwehrschulen in Europa unterstützt und erleichtert wird.

FEU auf der INTERSCHUTZ