Zwei Minuten nach der Alarmierung durch die App schon ist der erste Helfer zur Stelle, kurz darauf der zweite. Er hat sogar einen Defibrillator dabei. Als wenig später der Rettungsdienst eintrifft, laufen schon die Wiederbelebungsmaßnahmen. Der Patient kann gerettet werden.

„Saving Life“-App

Gern erinnert sich Stephan Bandlow, Chef der Elmshorner Leitstelle, an diesen Einsatz. „Er ist ein Beispiel für einen Ablauf, den sich Ärzte wünschen, bei dem alle „Bausteine“ funktionieren und auch Folgeschäden vermieden werden können“, sagt auch Stefan Sudmann, Chefarzt im Zentrum für Notfall- und Akutmedizin der Regio-Kliniken in Elmshorn und freut sich, dass allein in seiner Umgebung im Kreis Pinneberg schon rund 1.700 Menschen die lebensrettende „Saving Life“-App haben.

Sobald in ihrer Nähe ein Patient mit Herz-Kreislauf-Stillstand gemeldet wird, werden sie – wie im Beispiel – alarmiert, um bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes am Notfallort die Erstversorgung zu übernehmen. Eine schnelle Herzdruckmassage durch Anwesende und Laienhelfer – so zeigt die Erfahrung – kann die Überlebenschancen verdreifachen, besonders in den ersten drei bis fünf Minuten. Inzwischen hat eine wissenschaftliche Auswertung ergeben, dass Ersthelfende per „Saving Life“-App zwischen drei und vier Minuten schneller als der professionelle Rettungsdienst am Einsatzort eintreffen.

Wie ein Flickenteppich

So wie in Schleswig-Holstein gibt es auch in vielen anderen Regionen Deutschlands ersthelfer-Systeme. Nach Angaben des German Resuscitation Council (GRC), dem Deutschen Rat für Wiederbelebung, bestehen sieben App-basierte Ersthelfersysteme in Deutschland, vier davon sind überregional etabliert. Aber es gibt viele weiße Flecken auf der Übersichtskarte.

Das Problem: Hält sich ein Besitzer einer solchen App nicht in seiner heimatlichen Region auf, ist er darüber nicht erreichbar. Viele Experten sehen es deshalb als sinnvoll an, zumindest länderweise dieselbe App zu verwenden. Besser noch wäre eine bundesweit einheitliche Lösung. Dann stünde ein Ersthelfer aus Bayern beispielsweise auch zur Verfügung, wenn er seinen Urlaub an der See verbringt. Ziel des GRC ist es, jedes Jahr 10.000 zusätzliche Leben zu retten, wie es auf dessen Homepage (grc-org.de) heißt.

Doch bei der leitstellenübergreifenden Kompatibilität gibt es nach den Worten von Marc Gistrichovsky dem Vorsitzenden des Fachverbandes Leitstellen, bisher leider keinen Fortschritt. Seine Erkenntnis: „Die Hersteller dieser Systeme haben da auch aus unserer Sicht leider wenig Interesse.“ Da auch die Voraussetzung zur Teilnahme an den Systemen unterschiedlich sei – von gar keiner medizinischen Vorbildung, bis zur geforderten medizinischer Vorbildung und Schulung – sei auch die direkte Kompatibilität und Vergleichbarkeit schwierig. In Schleswig-Holstein beispielsweise müssen Helfer, die sich registrieren lassen, keine Profis in einem medizinischen Beruf sein. Voraussetzung ist ein Erste-Hilfe-Nachweis – aber natürlich ein medizinischer Abschluss. Mindestalter ist 18 Jahre.

Wer sich im nördlichsten Bundesland registriert, wird bei Reanimationssituationen innerhalb eines Radius von einem bis anderthalb Kilometer um den Notfallort alarmiert. Die freiwilligen Helfer erfahren dann neben dem Einsatzort auch die Zeit, die sie dorthin benötigen und werden gefragt, ob sie den Einsatz annehmen möchten. Wer verhindert ist, kann sich jederzeit auch abmelden.

Hoffnung auf einheitliche Systeme

„Das Wichtigste wäre eine verpflichtende Einführung derartiger Systeme und eine Finanzierung durch die Krankenkassen“, betont Marc Gistrichovsky. „Wir hoffen hier auf entsprechende Regelungen in den kommenden Gesetzesnovellen zur Reform der Notfallversorgung.“ Alle Systeme müssen, wie er fordert, interoperabel sein, damit Ersthelfer unabhängig von dem Ort der Registrierung bundesweit alarmiert werden können. Dazu solle es nicht notwendig sein, dass sich die Leitstelle mit mehreren Systemen verbinden muss. Die Leitstelle müsse darüber informiert werden, bei welchem System die alarmierten Ersthelfer registriert sind. „Der Aufbau und standardisierte Zugriff auf eine (bundes-)einheitliche Datenbank der Ersthelfenden soll durch die Ersthelfer-Alarmierungssysteme (EHAS) unterstützt werden“, so seine Forderung.

Die verbindliche Einführung von EHAS gehört zu einem umfangreichen Forderungskatalog des Fachverbandes Leitstellen. Dazu zählt auch eine telefonische Anleitung zur Reanimation, die in einer sogenannten Bremerhavener Erklärung als verpflichtender und selbstverständlicher Bestandteil jeder Leitstelle werden müsse. Das bedeutet, dass der Leitstellendisponent hilfesuchenden Anrufenden Anweisungen zur Reanimation eines Patienten geben kann. Die Größe einer Leitstelle sei dabei unerheblich und kein Argument gegen eine Etablierung. „Patientensicherheit ist nicht verhandelbar“, sagt der Fachverband.

Finanzierung nicht überall gesichert

Als Grund dafür, weshalb es in Deutschland hinsichtlich der Ersthelfer-Alarmierungssysteme an vielen Stellen noch einen Flickenteppich gibt, werden nach Beobachtung des Fachverbands-Vorsitzenden oft finanzielle Themen angeführt. „Hier muss man auch sagen, dass die Systeme tatsächlich nicht ganz billig sind und die Refinanzierung durch die Krankenkassen noch nicht in der Fläche gesichert ist“, erläutert Gistrichovsky. „Fachlich gesehen, gibt es kein Argument, es nicht einzuführen, ganz im Gegenteil.“

Er weist darauf hin, dass die einschlägigen Reanimationsguidelines ausdrücklich den Einsatz dieser Systeme empfehlen. In Bayern sei aber zum Beispiel trotz Bitten der Leitstellenbetreiber die Verankerung derartiger Systeme im Rettungsdienstgesetz gescheitert. „Wir haben es in unserem Leitstellenbereich durch die Städte und Landkreise auf kommunaler Basis finanziert, da wir nicht warten wollten“, sagt er. Gistrichovsky ist Abteilungsleiter in der Integrierten Leitstelle der Stadt Nürnberg.

Fest steht schon jetzt: EHAS wird ein wichtiges Diskussionsthema auf der kommenden INTERSCHUTZ 2026 sein – nicht nur am Stand des Fachverbandes Leitstellen.

Ausstellungsbereich Rettungswesen Kommunikations- und Leitstellentechnik