Die INTERSCHUTZ ist die weltweit wichtigste Plattform zur Beschaffung neuer Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände. Nun musste die Messe, wie so viele Veranstaltungen, pandemiebedingt zwei Mal verschoben werden. Wurden auch die Investitionen zurückgehalten? Wie hoch ist das aktuelle Investitionsniveau für Feuerwehrfahrzeuge und Ausrüstung in Deutschland?

Dr. Scherer: Als bestens etablierte Innovationsbühne und Dialogplattform der internationalen Feuerwehrtechnik-Community lebt die Interschutz ohne Frage von ihrem einzigartigen Ereignischarakter. Nirgendwo sonst ist der Puls neuer Anwendungen spürbarer, der Austausch und das Netzwerk lebendiger. Insofern haben wir die pandemiebedingte Verschiebung der Messe sehr bedauert.

Die Investitionslaune der Feuerwehren hat sich allerdings als ausgesprochen krisenfest erwiesen: Die Auftragsbücher der Feuerwehrtechnikhersteller sind gut gefüllt, die Fertigung am Standort Deutschland läuft weiterhin auf Hochtouren.

Wo genau kommen die Investitionen zum Einsatz?

Dr. Scherer: Die hohe Nachfrage gilt aktuell segmentübergreifend – vom Feuerwehrfahrzeug bis zur persönlichen Schutzausrüstung. Besonders stark spiegelt sich die branchenweite Hausse in den Neuzulassungen von Feuerwehrfahrzeugen:

Bis November 2021 gelang es uns, rund 2.800 neue Feuerwehrfahrzeuge in den deutschen Markt zu bringen. Damit konnten wir einen Zuwachs von 2 Prozent realisieren. Gute Voraussetzungen bietet aber nicht nur das Inlandsgeschäft, auch auf den Auslandsmärkten, in die rund ein Drittel der hierzulande produzierten Fahrzeuge und Ausrüstungsgegenstände exportiert wird, sind wir sehr erfolgreich.

Aufgrund globaler Lieferengpässe im Komponentensektor geraten vielerorts allerdings immer wieder Produktionsprozesse ins Stocken. Hinzu kommen spürbare Friktionen in der internationalen Transportlogistik, wobei vor allem Kapazitätsengpässe und Verspätungen zu beklagen sind.

Welche Technologietrends sehen Sie? Auf was können wir uns freuen?

Dr. Ehrhard: Urbanisierung und Digitalisierung gelten in der Brandbekämpfung aktuell als entscheidende Technologietreiber. Intelligente Vernetzungsideen sorgen beispielsweise dafür, dass die Einsatzkräfte gerade im komplexen Großstadtgeschehen bereits vor dem Eintreffen am Brandherd mit wichtigen Detailinformationen zur Lageentwicklung versorgt werden.

Einen effektiven Sicherheitsgewinn bietet dabei die digitale Verklammerung von Technologien des Brandschutzes und der Brandbekämpfung. Sicher ist: Wir werden in Hannover zahlreiche, zum Teil spektakuläre Neuheiten erleben.

Aus umweltpolitischer Sicht gewinnt die Elektrifizierung von Fahrzeugen zunehmend an Bedeutung. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung aus Sicht der Industrie?

Dr. Ehrhard: Die Frage zukunftsfähiger Antriebslösungen treibt unsere Industrie schon eine ganze Zeit gehörig um; sie ist allerdings komplex und lässt sich mit plakativ verkürzten Schlagworten kaum befriedigend beantworten. Klar ist:

Wir wissen, dass der Umwelt- und Klimaschutz unser aller Handeln erfordert.

Die Feuerwehren gehörten erfreulicherweise zu den ersten, die gehandelt haben: Sparsame und emissionsarme Dieselmotoren sind daher heute entlang der gesamten Produktpalette Standard, wobei auch der Einsatz alternativer, nicht-fossiler Energieträger zunehmend ins Blickfeld rückt. Elektroantriebe sind insbesondere bei kleinen und mittleren Fahrzeugtypen auf dem Vormarsch. Gerade in diesen Segmenten dürfen wir im kommenden Sommer spannende Lösungen erwarten, die ich an dieser Stelle im Detail allerdings noch nicht vorwegnehmen möchte.

Welche Rolle spielt das Thema Digitalisierung und Vernetzung im Bereich Feuerwehr und Rettungswesen? Welche Lösungen bringen Ihre Unternehmen mit zur INTERSCHUTZ 2022?

Dr. Ehrhard: Wie bereits erwähnt, gewinnen in der Brandbekämpfung digitale Anwendungen und Vernetzungslösungen rasant an Bedeutung. Denken wir etwa an die Lageerkennung in Echtzeit, so haben wir Einsatzszenarien vor Augen, die mithilfe digitaler Sensor-, Video- und Datenübertragungstechnik einen messbaren Zugewinn an Sicherheit bieten.

Dank 5G-Mobilfunkstandard erhält die Löschmannschaft auf der Fahrt zum Einsatzort via Tablet-PC wertvolle Hinweise zum Geschehen am Brandherd: Welche Etage betroffen ist, wie viele Menschen sich darin in einer Notlage befinden, wo Hydranten angebracht und wo beziehungsweise ob Parkmöglichkeiten für die Einsatzfahrzeuge existieren – all das können derartige Vernetzungs-Tools leisten.

Gibt es auch Lösungen aus dem Bereich der Feuerwehr- und Rettungstechnik, die in Pandemie-Zeiten besonders im Fokus stehen? Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in diesem Zusammenhang?

Dr. Scherer: Ich bin mir sehr sicher, dass die pandemische Lage die gesellschaftliche Sensibilität für den Bevölkerungsschutz in seiner ganzen Breite – von den Feuerwehren über das Technische Hilfswerk bis hin zum Roten Kreuz – spürbar geschärft hat. Das ist eine Chance, die wir nutzen können und nutzen sollten, beispielsweise mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung für das Haupt- und Ehrenamt, aber auch für die Imagewerbung in diesen Organisationen.

Industrieseitig haben wir die Pandemiebekämpfung ebenfalls von Anfang an nach Kräften unterstützt. So haben einige Hersteller aus den Segmenten der Ausrüstungstechnik sehr flexibel reagiert, indem sie Teile ihrer Fertigungsstraßen beispielsweise für die Produktion von medizintechnischen Beatmungsgeräten umgerüstet haben.

Zur Person

Dr. Bernd Scherer:
Der 65-jährige Agrarökonom führt seit 1992 die Geschäfte des Fachverbandes Feuerwehrtechnik im VDMA und tritt im Juni 2022 in den Ruhestand. Scherer ist zudem Mitglied der Hauptgeschäftsführung des europaweit größten Branchenverbandes der Investitionsgüterindustrie.

Dr. Tobias Ehrhard:
Der 42-jährige promovierte Wirtschaftsingenieur wird ab April 2022 neuer Geschäftsführer des Fachverbandes Feuerwehrtechnik im VDMA. Ehrhard fungiert aktuell als stellvertretender Geschäftsführer des VDMA-Fachverbandes Motoren und Systeme. Zudem ist er Geschäftsführer der VDMA-Arbeitsgemeinschaft für Großmotoren.