Bevor der eRTW per Fähre zur größten ostfriesischen Insel übersetzte, wurde er beim zuständigen DRK-Kreisverband in Leer offiziell seiner Bestimmung übergeben. Und obwohl zur Feier des Tages nur Küsten-Schmuddelwetter die Premiere begleitete, war die Stimmung bei den Gästen und Gastgebern bestens. Bernhard Bramlage, Präsident des DRK-Kreisverbandes Leer, lobte das Engagement von Daniel Schulte, Rettungsdienst-Leiter beim Landesverband, und Hary Feldmann von der DRK Rettungsdienst GmbH Leer. Beide hatten das Projekt eRTW vor einem Jahr gestartet. Mit Erfolg, wie sich jetzt zeigte. Daniel Schulte und Hary Feldmann dankten den Partnern aus der Industrie für die tatkräftige Unterstützung. Sie habe dazu geführt, dass das Elektrofahrzeug in den Gesamtkosten von 133.000 Euro nicht teurer geworden sei als ein herkömmlicher Rettungswagen.

Bei dem Basisfahrzeug handelt es sich um einen VW-e-Crafter. Der Sonderausbau erfolgte bei der Firma Emmert Fahrzeuge Lingen, und die Medizintechnik kommt von Stryker Deutschland, Weinmann Emergency Medical Technology GmbH & Co. KG Hamburg und MedBuy GmbH Nienburg. Innerhalb von 45 Minuten, so erläuterten die Experten, kann das Basisfahrzeug zu 80 Prozent elektrisch aufgeladen werden. Eine Besonderheit: Fahrzeugantrieb und Patientenkabine werden über zwei unabhängige Stromkreise betrieben. "Das bedeutet, dass die Kabine mit Heizung, Klimaanlage und den Geräten für die Versorgung der Patienten bis zu 48 Stunden völlig autark funktionieren kann", so Daniel Schulte.

Unterdessen hat das Fahrzeug mit einem vollgeladenen Akku eine Reichweite von gut 100 Kilometern. "Das ist für einen Rettungsdienst in einem territorial beschränktem Einsatzgebiet, wie der Insel Borkum, völlig ausreichend", sagt Schultes Kollege Feldmann. Borkum hat einen Durchmesser von etwa zehn Kilometern. Das würde, hätte der Einsatzort jeweils die maximale Entfernung, für etwa fünf Einsätze reichen. "Kein Problem", versichert Daniel Schulte, der in seiner Freizeit selbst auch als Notfallsanitäter Dienst tut. "Denn zwischendurch – zum Beispiel während der Patientenübergabe in der Klinik – kann das Fahrzeug immer wieder auch für kurze Zeit aufgeladen werden. Den von früher bekannten 'Memory-Effekt' bei Batterien gibt es hier nicht."

Fünf Einsätze pro Tag – das wäre, aufs Jahr umgerechnet, ungefähr auch der Durchschnitt, den der RTW auf Borkum fahren muss. Denn pro Jahr gibt es auf Borkum etwa 5.000 Rettungseinsätze. Natürlich hängt die Zahl von der Feriensaison ab. "Borkum zählt knapp über 5.000 Einheimische", berichtete Landrat Matthias Groote während der Übergabefeier. "In der Urlaubszeit liegt die Zahl der Besucher im einstelligen Millionenbereich." Und überhaupt: Auf der Insel ist bei der Menschenrettung an alles gedacht: Dort, wo der Rettungswagen nicht schnell genug hinkommt, steht nach den Worten von Groote ein Quad zur Verfügung.

Die Rettungsdienstler vom DRK werden jetzt erst einmal Erfahrungen mit ihrem Elektrofahrzeug sammeln. Interessiert warten Fachleute aus ganz Deutschland auf erstes Feedback. Eines ist für Hary Feldmann und seine Kolleginnen und Kollegen schon jetzt sicher: "Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der anhaltenden Diskussion zur E-Mobilität bildet die Nordseeinsel Borkum den optimalen Projektrahmen." Und Daniel Schulte ergänzt: "Im Zuge von Nachhaltigkeit, Innovation und Umweltschutz hält die Elektromobilität immer mehr Einzug in unseren Straßenverkehr. Während sie im Pkw-Bereich inzwischen recht etabliert ist, gibt es im Nutzfahrzeugsegment bisher nur wenige Beispiele. Das wollen wir mit unserem Pilotprojekt im Bereich des Rettungsdienstes ändern."

Übrigens: Auch wenn der erste moderne Elektro-Rettungswagen in der Branche für großes Aufsehen sorgt – ganz neu ist die Idee vom Elektroantrieb für Krankenfahrzeuge nicht. "Die Berufsfeuerwehr Köln beispielsweise erwarb 1908 einen elektromobilen Krankenwagen, ein Jahr später den zweiten", beschrieb Manfred Gihl schon 1986 in seinem Buch "Rettungsfahrzeuge – Von der Krankenkutsche zum Notarztwagen". Und weiter: "Die Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h und ein Aktionsradius von 75 km wurden als durchaus genügend angesehen." Auch Mediziner diskutierten damals schon über die geeignete Antriebsart. So bemängelte einer von ihnen bei Benzinmotoren zunächst "das entsetzliche Knattern, wenn der Wagen angetrieben wird" und den "Schreck, der dem Kranken eingejagt wird, wenn das Andrehen losgeht". Trotzdem: Spätestens nach Ende des Ersten Weltkriegs setzte sich der Benzinmotor auch beim Krankenwagen durch.

Wie lange noch? Das hängt auch 100 Jahre später – darin sind sich die Experten einig – von der weiteren technischen Entwicklung vor allem der Akkus und der damit verbundenen Reichweite ab. Für das Borkum-Projekt hat das DRK selbst für einen möglichen Stromausfall vorgesorgt, der ein Aufladen des RTW verhindern könnte: Ein herkömmliches Fahrzeug steht permanent als Ersatz bereit.

Website: www.drklvnds.de